Sind Goldschmiede Vorreiter im Recycling?
Verstohlen sehe ich mich um, ob wirklich alle Teilnehmer gegangen sind. Ein bisschen peinlich ist es mir. Zwanghaft richtet sich mein Blick fest auf dem Boden. Ich beginne die aufgestellten Zeichentische zu umrunden. Lauter kleine Stücke Silber hebe ich auf. In meinem Inneren spüre ich den Drang, alles zusammen zu fegen.
Jedes noch so kleinste Krümelchens des Edelmetalls möchte ich einsammeln, sorgfältig aufbewahren und mit nach Hause nehmen.
„Das kann doch nicht so liegen bleiben und später achtlos weggefegt werden!“
Gleichzeitig frage ich mich: „Darf ich das? Ist das nicht das Silber der VHS-Kurs-Teilnehmer?“
An diese vielschichtigen Gefühle kann ich mich auch nach alle den Jahren gut erinnern.
In München unterrichtete ich fast 10 Jahre lang an der Volkshochschule in Silber- bzw. Goldschmiedekursen. Dieser Abend war der erste Termin in einer neuen Volkshochschule, an der ich eine bestehende Gruppe übernehmen konnte. In dem Raum gab es keine der typischen Goldschmiedetische. Die Teilnehmer sägten und feilten an kleinen Laubsägebrettchen, die an Tischkanten geklemmt waren. Alles, was zu klein zum Weiterverarbeiten war, landete auf dem Fußboden.
Für mich als Goldschmiedin ist eine Verschwendung von Edelmetallen unerträglich.
Um dies zu verhindern, gibt es ein paar Schritte, die ich dir hier erklären möchte. Sie sind die Überschriften der folgenden Absätze. Dazu habe ich die modernen Begriffe aus der Nachhaltigkeit gesetzt. Ein Versuch, diese Begriffe mit dem Luxusgut Schmuck zu verbinden.
Inhaltsverzeichnis Show
Sammeln
Dies ist ein klassischer Goldschmiedetisch. Er hat eine halbrunde Aussparung in der Mitte der Feilnagel befestigt ist. Unter dieser Aussprache wird ein großes Lederstück wie eine Art halber Sack befestigt. Wenn ich an dem Goldschmiedetisch sitze, liegt das Brettfell genannte Lederstück wie eine Serviette in meinem Schoß.
Jeder noch so kleine Metallkrümel und aller Staub wird aufgefangen. Auch die Oberfläche des Tischs wird regelmäßig abgefegt. Mein Lehrer an der Goldschmiedeschule hatte dazu sogar eine getrocknete Hasenpfote, denn diese fegt besonders gründlich.
Anders gesagt, Goldschmieden sammeln:
Bruch (Edelmetallreste in Form von Draht oder Blech, die so nicht verarbeitet werden können)
Feilung (Alles, was an Staub und gefeilten Metall im Brettfell landet)
Gekrätz (Eigentlich alle kleinsten Abfälle und Aufgefegtes aus der Goldschmiede-Werkstatt)
Schmirgelpapier-Reste
verbrauchte Vergoldungsbäder
Polierstaub, alte Polierbürsten
Schwebstoffe im Abwasser des Waschbeckens
alte Fräser, Tiegel, Arbeitshandschuhe
Kleber, Harze oder Fasserkit
und unzähliges mehr
Reduse - Reduzieren, weniger konsumieren, kaufen
Eigentlich wird kein Gold weggeschmissen. Auf die Idee, kommt heute doch niemand, oder?
Hochwertiger Schmuck hält lange Jahre. Auch er kann gesammelt werden. Jeder kann sich seinen kleinen Drachenhort aufbauen. Dazu muss nicht ständig neuer, schlecht fabrizierter Modeschmuck gekauft werden.
Auch wir Schmuck-Künstler sind Sammler. Seit Jahrtausenden wird Edelmetall von Goldschmieden gesammelt und wieder verwendet. Das liegt auch nahe, denn die Metalle, mit dem wir arbeiten sind sehr kostbar. Edel und zum Glück sehr gut erneut zu verarbeiten.
Sortieren
Alles von Wert wird in einer Schmuckwerkstatt fein säuberlich sortiert aufgehoben. Teilweise bis zum Ende der Goldschmiedischen Tätigkeit.
Jede Legierung hat ihre eigene Dose. Noch funktionierende Verschlüsse werden vor dem Schmelzen gerettet, Ohrsteckstifte können wieder verwendet werden, Ösen werden nach Größe und Metall sortiert. Durch diese entstehende Sammlung muss weniger neu gekauft werden.
Repair - reparieren und anpassen
Reparieren ist alltäglich in einer Goldschmiedewerkstatt. Da werden Ringe vergrößer oder verkleinert, gerissenen Ketten repariert oder Verschlüsse ersetzt. Oft werden Schmuckstücke auch umgearbeitet, damit sie einem älteren Körper besser angepasst sind.
Kreativer ist das Umarbeiten von Schmuckstücken. Sie erhalten ein neues, vielleicht zeitgemäßeres Design erhalten. Schmuck will getragen werden. Und das wird er nur, wenn er passt - am Körper und geschmacklich. Auch hier ist das Edelmetall mit seinen Eigenschaften hervorragend geeignet. Es kann immer wieder verformt, neu kombiniert und gelötet werden.
Schmelzen
Der Temperaturunterschied von Löten und Schmelzen ist bei den Edelmetallen gering. Und so ist jede Schmuck-Werkstatt hervorragend ausgerüstet, die meisten Edelmetalle einzuschmelzen. Manchmal sind es nur kleine Reste, manchmal ein ganzer Haufen von geerbten Schmuck.
Der Prozess durch das Feuer gehen hat eine große Kraft. Nicht nur symbolisch. Jedes Schmuckstück aus den klassischen Legierungen kann eingeschmolzen werden: Gold bleibt Gold, Silber bleibt Silber. Die Legierungen werden erhalten oder gemischt. Nach dem Schmelzen kann das Edelmetall erneut in jede gewünschte Form gebracht werden.
Aus altem Schmuck durch das Einschmelzen ein neues Schmuckstück zu schaffen, wird so lange praktiziert, wie Menschen Schmuck aus Metall herstellen.
Reuse - Wiederverwenden
Die Edelmetalle und ihre Legierungen im Schmuck können einen perfekten Kreislauf der Wiederverwendung beschreiten. Bei dem Prozess des Scheidens und Schmelzen gehen keine Anteile verloren. Da ihre Nutzung zusätzlich zumeist noch mehrere Jahrzehnte dauert, kann man auf jeden Fall von einem perfekten Recycling sprechen.
Mich fasziniert der Gedanke, dass in meinem Stück Gold, dass ich auf dem Werkbett liegen habe, ein Teil eines 5000 Jahre alten ägyptischen Schmuckstücks enthalten sein kann.
Scheiden
Viel wahrscheinlicher ist jedoch ein hoher Anteil an deutschem und europäischen Schmuck in meinem Goldstück.
Wir Schmuck-Designer und Goldschmiede beziehen unsere Metalle in sogenannten Scheideanstalten. Diese bereiten Edelmetalle aus Altschmuck über Elektroschrott, Schlacke aus der Müllverbrennung bis zu Zahngold auf. Sie werden gereinigt und in ihre chemischen Grundelemente zerlegt: also in Feingold, Feinsilber, Feinplatin usw. Die Grundmetalle für unsere Legierungen im Schmuck.
Ein breites Angebot an Draht, Blechen und Granalien in unterschiedlichen Feingehalt können so bezogen werden.
Auch meine Reste aus der Werkstatt gebe ich komplett zum Scheiden.
Recycle - Gold bleibt Gold und das unendlich oft
„98 Prozent des in Deutschland produzierten Goldes stammen aus dem Recycling. Und von dem Recyclingmaterial stammen über 50 Prozent aus Deutschland selbst. Wir versorgen uns hierzulande also selbst“, sagt York Tetzlaff, Geschäftsführer der Fachvereinigung Edelmetalle gegenüber der Welt. (Zitat: www.welt.de, „Ein Herz aus Altmetall“ von Maria-Antonia Gerstmeyer, veröffentlicht am 30.10.2022)
Da auch der „CO₂-Fußabdruck um den Faktor 400 bis 2000 kleiner ist als bei Gold aus Minen“, ist hierzulande das ganz schön nachhaltig, oder?
Gibt es eine Art Goldschmiede-Ehre?
Von dem ersten Tag in der Goldschmiedeschule habe ich den sorgfältigen Umgang mit den Edelmetallen aufgesogen. Es ist mir so sehr ins Blut übergegangen, dass es mir oft gar nicht mehr auffällt. Dabei kann ich mich nicht erinnern, dass dies ein Unterrichtspunkt war.
Der Respekt und das Bedürfnis zum Bewahren des Wertes Edelmetall hat sich durch viele kleine Erfahrungen und Handlungen eingeprägt:
das (damals) tägliche Ausfegen des Brettfells
die viele Dosen und Schachteln mit Edelmetall
die Geschichte über die Schmuckmanufaktur, die beim Umzug, den Dielenboden zur Scheidung gegeben hat
der Anblick von schwebendem Blattgold
das deutsche Stempelgesetz von 1888
Rethink - Umdenken
Nicht nur Kundenwünsche führen dazu, dass Schmuckstücke recycelt werden. Wer immer eigene Kunst oder Designs schafft, entwickelt sich mit der Zeit. Genauso wie sich die Zeit und der aktuelle Geschmack ändert. Dabei spreche ich nicht nur von Mode, sondern auch dem Zeitgeist, der sich über längere Zeiträume verändert.
Durch Aussortieren entstehen Freiräume.
„Wer Neues schaffen will, muss Altes zerstören.“ Nach diesem Credo verfährt Nietzsche in Menschliches, Allzumenschliches. Es steckt ein Akt der Neuschöpfung in der Zerstörung des Vorhandenem.
Und so zersäge, zerschneide und schmelze auch ich immer mal wieder meine eigenen, mühevoll gearbeiteten Schmuckstücke.
Meine Erkenntnis
Oft höre ich, dass Goldschmieden „ein so schöner Beruf“ ist. Während ich diesen Blogartikel schreibe, merke ich: Für mich ist er viel, viel mehr.
Ich fühle mich in einer langen Tradition von Goldschmieden. Menschen, die mit den edelsten Elementen der Welt wunderbaren Schmuck hergestellt haben. Hände, die große Kunstfertigkeiten und das Element Feuer beherrschten.
Werte und ein Schatz, der in immer wieder verwandelter Form den Menschen Freude und Glück bringt.
Es ist eine große Ehre! Als Schmuck-Designer und Goldschmiedin trage ich eine Verantwortung, wenn ich Schmuck gestalte und Edelmetalle verarbeite.
Ich schätze mich sehr glücklich, dies beides so oft erfüllen zu können. Goldschmieden ist wirklich ein wunderbarer Beruf.
Und dazu kann er auch sehr nachhaltig sein.